... stark für Menschen

Engagiert für den Nationalsozialismus

Kurt Rother leitete von 1964 bis 1982 die heutige Johannes-Diakonie.
Im fideljo berichtete Pfarrer Richard Lallathin über seine Forschungen zu Kurt Rother.

Mosbach. Kurt Rother hat sich in die Geschichte der Johannes-Diakonie eingeschrieben. Der Vorstandsvorsitzende der damaligen Johannes-Anstalten stabilisierte ab Mitte der sechziger Jahre die Einrichtung wirtschaftlich, trieb deren Ausbau voran und stand für eine moderne Ausbildung von Fachkräften der Behindertenhilfe. So weit, so bekannt. Dass Rother ein engagierter Nationalsozialist war und hohe Ränge in SA und NS-Studentenschaft bekleidete, ergaben nun Nachforschungen des Pfarrers der Johannes-Diakonie, Richard Lallathin, die dieser rund 70 Zuhörerinnen und Zuhörern bei einem Vortrag im Kultur- und Begegnungszentrum fideljo vorstellte.

Der Vorstandsvorsitzende der Johannes-Diakonie, Martin Adel, wies eingangs auf die Verantwortung hin, kritisch und offen der eigenen Vergangenheit gegenüber zu sein: „Wir müssen zu unserer Geschichte in ihrer Differenziertheit stehen.“ Dekan Folkhard Krall betonte die Freiheit und Verpflichtung der Nachkriegsgeneration, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Adel und Krall dankten Lallathin für seine Forschungsarbeit.

Seine akribischen Recherchen führten Richard Lallathin zu bisher unbekannten Quellen im Internet und in mehrere Archive, sogar bis ins frühere Ostpreußen. In diesem Teil des damaligen Deutschen Reiches verbrachte der 1912 geborene Rother Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter. Er studierte in Königsberg Theologie, dann Jura – und engagierte sich ab den dreißiger Jahren für den Nationalsozialismus. Er war Mitglied der Hitlerjugend, des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes und der SA. Jedoch ging Kurt Rothers Engagement weit über bloße Mitgliedschaften hinaus. Der angehende Jurist kletterte in der SA die Rangleiter empor und brachte es bis zum Standartenführer. In seiner Heimat Ostpreußen wurde er Gaustudentenführer und bewegte sich fortan auf der zweithöchsten Führungsebene der NS-Studentenschaft. Offenbar genoss Rother so viel Vertrauen in der Nazi-Führung, dass er 1943 nach Kriegseinsätzen als Soldat in Polen, Frankreich und Russland als Inspekteur der Studentenschaft in München eingesetzt wurde, um an der dortigen Universität auf Linientreue zu achten.

Eines der wenigen erhaltenen Schriftstücke aus Rothers Leben vor 1945 stellte Richard Lallathin bei seinem Vortrag ausführlich vor. In dem Aufsatz „An die Gebildeten unserer Zeit“ rief Rother darin 1944 angesichts der drohenden Niederlage im Krieg zu Gefolgschaft auf und hetzte gegen den „ewigen Juden“ – ein leidenschaftliches Plädoyer für den im Untergang befindlichen Nationalsozialismus, wie Lallathin in seinem Vortrag darlegte.

Sein Engagement für den Nationalsozialismus verleugnete Rother nach dem Krieg. Das belegen Akten zum Spruchkammerverfahren, dem damals verbreiteten Mittel zur Entnazifizierung. Der mehrfach beförderte SA- und Studentenführer machte falsche Angaben, wurde als minderbelastet eingestuft und konnte sich ohne weitere Verfahren oder Strafen ein neues Leben aufbauen. Im Engagement für den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund wie auch im Werdegang nach 1945 ist Rothers Biografie der anderer Persönlichkeiten der jungen Bundesrepublik sehr ähnlich. Nach dem Kriegsende setzten ehemals engagierte Nationalsozialisten wie Hanns Martin Schleyer oder auch Mosbachs Bürgermeister im Dritten Reich, Alfred Himmel, ihre Karrieren nahezu bruchlos fort und passten sich der neuen Gesellschaftsordnung einfach an. Kurt Rother brachte es zum charismatischen und weithin anerkannten Unternehmensvorstand, wurde 2005 Schwarzacher Ehrenbürger und bekam die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg.

Handelte es sich beim Einsatz Rothers für die Diakonie um eine innere Bekehrung? Diese Frage bewegte nicht nur Lallathin, sondern auch sein Publikum. Klären lässt sie sich jedoch nicht. Denn zumindest nach außen und öffentlich vermied Rother später jede Äußerung zum Dritten Reich. Folgerichtig wurden drängende Fragen, etwa nach dem Schicksal der ermordeten NS-„Euthanasie“-Opfer aus der Johannes-Diakonie, erst nach seinem Abschied aufgearbeitet. Stattdessen beschrieb sich Rother in seinen Erinnerungen als überzeugten Diakoniker. „Seine diakonische Grundhaltung und seine NS-Verstrickung erscheinen uns heute widersprüchlich“, erklärt dazu Lallathin. „Er war klug genug, nach außen mit dem Nationalsozialismus abzuschließen.“

Was den Leiter der Johannes-Anstalten in seinem Leben vor 1945 bewegte und antrieb und wie er sich nach 1945 innerlich dazu stellte, wird wohl größtenteils ein Rätsel bleiben. Und trotzdem ist es wichtig, dass dieses Kapitel seiner Geschichte und damit der Johannes-Diakonie beleuchtet wurde. Darin war sich das Publikum nach Lallathins Vortrag einig.

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