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Schwarzach als „Rettungsort“

Zuflucht Schwarzacher Hof: Für die gebürtige Polin Hannah Kent war das damalige UNRRA-Lager eine zeitlich befristete Ersatzheimat.
Susan Avijan (rechts) und ihre Tochter Dara besuchten mit dem Schwarzacher Hof einen besonderen Ort für ihre Mutter bzw. Großmutter Hannah Kent.

Schwarzach. Ein Ort der Sicherheit, Freundschaft und Unterstützung, so wurde Susan Avjian der Schwarzacher Hof beschrieben. Und diesen wollte sie mit eigenen Augen sehen. Die US-Amerikanerin besuchte gemeinsam mit ihrer Tochter Dara den Ort, der für Mutter und Großmutter Hannah Kent nach dem Ende des 2. Weltkriegs zur Zuflucht wurde. Für beide war es eine außerordentlich berührende Reise an eine besondere Stätte.

1945 kam Hannah Kent, damals Hanka Szarkman, als 16-Jährige nach Schwarzach. Zu dieser Zeit hatte die Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen - kurz: UNRRA - am heutige Standort der Johannes-Diakonie ein „UN Children’s Center“ eingerichtet – ein Lager, in dem durch Krieg und Vertreibung heimatlose, hochtraumatisierte, von Familie und Angehörigen getrennte Kinder und Jugendliche eine zeitlich befristete Ersatzheimat fanden. Zugleich diente das Center als Schul-, Therapie- und Kulturzentrum. Man versuchte, die Angehörigen dieser jungen „Displaced Persons“ zu finden und ihnen Vertrauen ins Leben, Zukunft und in Menschen zurückzugeben.

Hannah Kent gehörte zu den ersten 25 Kindern und Jugendlichen, alle polnisch-jüdische Überlebende aus Konzentrationslagern, die in das UNRRA-Lager nach Schwarzach kamen. Zuvor hatte die 1929 im polnischen Lodz geborene Jugendliche drei Konzentrationslager und einen sogenannten „Todesmarsch“ überlebt, ehe sie 1945 durch die britische Armee in Bergen-Belsen befreit wurde. Nach all dem unvorstellbaren Leid wurde Schwarzach für die 16-Jährige zu einem Rettungsort. Hier fand sie Unterstützung, lernte Englisch und begründete Freundschaften, die sie ihr ganzes weiteres Leben begleiteten.

1946 reiste sie in die USA aus. Dort baute sie sich ein neues Leben auf, studierte und gründete mit Roman Kent, ebenfalls aus Lodz stammender Shoah-Überlebender, eine Familie. Roman Kent war später Vorsitzender der amerikanischen Organisation von Shoah-Überlebenden und ihrer Nachkommen, Präsident der „Jewish Foundation for the Righteous“, ab 2011 im Beirat des US-Holocaust Memorial Council und bis zu seinem Tod 2021 Präsident des Internationalen Auschwitz Komitees. 2014 erhielt er den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Für die Tochter und die Enkelin von Hannah Kent bekam der Ort des ehemaligen „Children’s Center“ der UN nun ein Gesicht. Bislang kannten sie es lediglich aus Erzählungen über die Erlebnisse der Mutter und Großmutter. „Wie schön, dass der Schwarzacher Hof immer noch ein Ort ist, an dem Menschen Unterstützung erfahren“, so Susan Avjian bei der Führung durch Pfarrerin Wiltrud Schröder-Ender über das Gelände. Als Physiotherapeutin interessiere sie sich sehr für das Leben und Arbeiten bei der Johannes-Diakonie vor Ort. Besondere Momente boten dabei auch spontane Begegnungen im Haus „Sonnenblume“ und in der Schwarzbach Schule. Auch die Tatsache, dass Erinnerungskultur und Gedenken eine wichtige Rolle für die Johannes-Diakonie spielen, würdigten die beiden Gäste aus den USA.

Dies sei schließlich auch das große Anliegen von Hannah Kent gewesen. Zeit ihres Lebens engagierte sie sich für Erinnerung, Toleranz und gegen den Antisemitismus. Gemeinsam mit ihrem Ehemann brachte auch sie sich in der Erinnerungsarbeit ein und war aktiv in der amerikanischen Organisation von Shoah-Überlebenden und ihrer Nachkommen. Susan Avijan erinnerte zum Abschluss ihres Besuchs in Schwarzach an eine der prägnanten Aussagen ihres Vaters Roman Kent: „Es müsste ein 11. Gebot geben, nämlich das gegen die Gleichgültigkeit.“

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