Mosbach. Bei allen guten Absichten bringt das Bundesteilhabegesetz (BTHG) für viele Betroffene Probleme mit sich: Neben Menschen mit Behinderung, deren Belange das Gesetz eigentlich in den Mittelpunkt stellt, sehen sich auch Kommunen als Leistungsträger und Einrichtungen der Behindertenhilfe benachteiligt. Unklare Regelungen führen zu langwierigen Verhandlungen und Unsicherheit. Auf Initiative der Kreisrätin und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Dr. Dorothee Schlegel kamen daher nun Vertreter und Vertreterinnen aus Politik, Verwaltung und von Einrichtungen der Behindertenhilfe aus dem Neckar-Odenwald-Kreis sowie die lokale Beauftragte für die Rechte von behinderten Menschen, Jutta Schüle, zu einem Fachgespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Martin Rosemann (Tübingen) zusammen. Rosemann ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Das Dilemma der Einrichtungen brachte der Vorstandsvorsitzende der Johannes-Diakonie, Martin Adel, beim Gespräch im Kultur- und Begegnungszentrum fideljo mit einigen Zahlen zum Ausdruck. So gelte es etwa, 160 Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen auszuhandeln und abzuschließen – bei einer extrem knappen Zeitvorgabe. Denn mit dem Jahr 2023 endet die Übergangsphase, müssen alle Verträge abgeschlossen sein. Der Leiter des Fachdienstes Eingliederungshilfe im Landkreis, Christian Köckeritz, hob den hohen Personalaufwand auf Landkreis-Seite hervor. Auch auf der Seite der gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuer hinterlasse das BTHG mit seinem hohem Bürokratisierungsaufwand Spuren. „Vor allem für Menschen mit komplexen Behinderungen hat sich das BTHG zu einem Bürokratiemonster entwickelt“, erklärte auch Martin Adel. Viele ehrenamtlich Betreuende hätten ihr Amt aufgegeben; persönliche Ansprechpartner seien weggefallen. „Damit hängen alleine im Neckar-Odenwald-Kreis rund 100 Menschen mit Behinderungen in der Luft“, sagte Adel.
Wo „Bund“ draufsteht, ist viel „Land“ drin
Dr. Martin Rosemann sieht bei der schleppenden Umsetzung in Baden-Württemberg die Landesregierung in der Verantwortung: „Das politische Versäumnis liegt beim Land.“ Beispiel: Budget für Arbeit. Bei diesem Thema lasse das BTHG viele Gestaltungsmöglichkeiten zu. Auch Wohnungsbauförderung, ein weiterer Streitpunkt des Fachgesprächs, sei Sache der Bundesländer. Finanzielle Unterstützung habe der Bund bereitgestellt. Auch in anderen Punkten, etwa bei den Energiepreisen, sieht der Bundestagsabgeordnete die finanzielle Unterstützung auf nationaler Ebene als gesichert. Nur müssten sie von Ländern und Kommunen auch in Anspruch genommen werden. Zuvor hatten die Vertreter von Johannes-Diakonie und AWO Neckar-Odenwald auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit Behinderung hingewiesen.
In einem Punkt waren sich immerhin alle Beteiligten einig: Die Zielsetzung des Gesetzes, mehr Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung, sei richtig. Doch die Erwartung, dass dieses Ziel ohne Mehrkosten erreicht werden könne, sei nicht gerechtfertigt gewesen, folgerte Dr. Martin Rosemann: „Denn individuelle Teilhabe kostet.“ Bei der Umsetzung des BTHG gebe es noch viel zu korrigieren. Der Bundestagsabgeordnete nahm dazu als Ergebnis des „Dialogs zwischen Politik und Praxis“ einige Fragen und Ideen aus dem Fachgespräch im fideljo mit und fuhr, beschenkt mit dem Johannes-Diakonie-Jahresbericht und einem Buch über Friedrich Ebert, zurück nach Berlin.